Jane Goodall erzählt, wie ihre Mutter sie bestärkt hat an ihren Traum zu glauben und an dessen Verwirklichung zu arbeiten:
„Ich war zehn Jahre alt, als ich Edgar Rice Burroughs „Tarzan“ las und beschloss in Afrika mit wilden Tieren zu leben und ein Buch über sie zu schreiben. Ich habe nie daran gedacht, Wissenschaftlerin zu werden, eher Taucherin oder Entdeckerin. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich mit Tieren leben würde, die so exotisch sind wie Schimpansen. Aber hätte ich gerne jedes afrikanische Tier kennen gelernt – nur um in freier Wildbahn zu sein.
Fast alle haben mich für meinen Traum ausgelacht. Afrika war weit weg von London, wir wussten sehr wenig darüber und hatten sehr wenig Geld. Es war das Ende des 2. Weltkriegs und ich war noch ein kleines Mädchen. „Träume von etwas, das du erreichen kannst“, rieten mir viele. Aber ich hatte Glück, denn meine Mutter hat mich bei allem unterstützt. „Du musst wirklich hart arbeiten, Risiken eingehen, und wenn du nicht aufgibst, wirst du deinen Weg finden“, riet sie mir.
Damals war es überhaupt nicht üblich, dass junge Frauen alleine ins Ausland reisen. 1957 schaffte ich es dennoch mit 23 Jahren nach Afrika zu reisen. Ich traf den Anthropologen Dr. Louis Leakey, der mir vorschlug, mit Schimpansen zu arbeiten. Es war ihm egal, dass ich nicht zur Uni ging – er wollte jemanden, der von der reduktionistischen Denkweise der Ethologen dieser Zeit nicht beeinflusst war.
Er hatte auch das Gefühl, dass Frauen in der Feldforschung etwas geduldiger wären. Er hat nicht versucht, mir beizubringen, was zu tun ist – es gab kein Protokoll, dem ich folgen musste.
Fast allen erschien es ein verrücktes Unterfangen ein junges Mädchen alleine in den Dschungel zu schicken um die damals unerforschten Schimpansen zu beobachten. Damals war es überhaupt nicht üblich, dass junge Frauen alleine ins Ausland reisen. Die britischen Behörden im heutigen Tansania – damals Tanganyika, der letzten Festung des britischen Empire – verboten mir alleine in den Gombe Stream Nationalpark zu gehen.
Meine wunderbare Mutter ergriff die Initiative und begleitete mich. Während ich vom Morgengrauen bis zur Dämmerung im Wald war, blieb sie in unserem kleinen Lager und richtete bald eine kleine „Klinik“ ein, in der die Menschen Aspirin und andere einfache Medikamente erhielten. So half sie von Anfang an dabei, ein hervorragendes Verhältnis zur örtlichen Gemeinde aufzubauen. Aber das wichtigste aus meiner Sicht war, dass sie mich immer ermutigte, wenn ich müde und niedergeschlagen in unser Camp zurückkehrte.

Es gelang mir lange nicht den Schimpansen nahe zu kommen. Sie verschwanden sobald sie diesen seltsamen weißen Menschen in ihr Territorium eindringen sahen. Als Tage zu Wochen wurden und Wochen zu Monaten wurden, wurde ich immer verzagter. Ich wusste, dass ich früher oder später das Vertrauen der Schimpansen gewinnen würde, aber mein Geld reichte nur für sechs Monate, und wenn ich keine Ergebnisse verweisen könnte, würde ich kein weiteres bekommen.
Jede Nacht, wenn ich deprimiert nach Hause kam, versuchte meine Mutter, mich zu trösten, indem sie darauf hinwies, dass ich selbst durch mein Fernglas viel gelernt hatte. Ich hatte einen Gipfel gefunden, auf dem ich eine gute Aussicht auf zwei Täler hatte. Ich hatte gelernt, was Schimpansen essen – und davon Proben gesammelt, nachdem die Tiere weg waren. Ich hatte gesehen, wie sie alleine wandern und in Gruppen unterschiedlicher Größe. Ich hatte auch gelernt ihre verschiedenen Laute zu erkennen.
Leider habe ich meine erste wichtige Entdeckung zwei Wochen nachdem meine Mutter nach England zurückreisen musste gemacht. Ich sah David Greybeard, den ersten Schimpansen, der mir vertraut hat, Termiten mit Hilfe eines Grashalms aus ihrem Bau fischen. Und ich beobachtetet wie er Zweige für diesen Zweck zurrechtstutzte. Ich wusste, dass das Leakey begeistern würde, da damals die Meinung vorherrschte, dass nur Menschen Werkzeuge benutzen und herstellen können.
Über die Jahre habe ich einen Großteil meiner Zeit im Gombe-Nationalpark verbracht, um die Kasakela-Schimpansen-Gemeinschaft genauso kennenzulernen wie meine alten Schulfreunde. Jeder von ihnen hat seine eigene Persönlichkeit und ist genauso unterschiedlich wie wir. Drei Frauen Flo, Passion und Patti haben mirviel über die Mutterschaft von Schimpansen beigebracht und wie es gute und nicht so gute Mütter gibt.
Flo war eine ausgezeichnete Mutter, schützend, aber nicht übermäßig, hingebungsvoll und verspielt. Außerdem hat Flo, genau wie meine eigene Mutter, ihre Kleine unterstützt.
Als ich an die Universität Cambridge ging, um an meiner Doktorarbeit zu arbeiten, hatte ich noch keinen Abschluss. Ich war schockiert, als einige Professoren sagten, ich hätte meine Nachforschungen komplett falsch gemacht. Schimpansen hätten keine Emotionen und ich hätte ihnen Nummern statt Namen geben sollen. Ich sollte nicht darüber sprechen, dass Schimpansen Persönlichkeit haben, Probleme lösen können und Gefühle wie Freude, Traurigkeit und Verzweiflung haben. All das wurde nur dem Menschen zugeschrieben.
Das Gegenteil hatte ich jedoch schon in jungen Jahren von meinem Hund Rusty gelernt. Jeder, der sein Leben mit einem Tier geteilt hat, weiß, dass es Persönlichkeit, Emotionen und Verstand hat. Auch wir sind Teil der Tierwelt, keine externen Beobachter. In den 1960er Jahren hieß es jedoch, dass Wissenschaftler:innen immer objektiv sein müssen und sich nicht von ihren Emotionen beeinflussen lassen dürfen.
Das trifft überhaupt nicht zu, Empathie hilft, die Motivation hinter einem bestimmten Verhalten intuitiv zu verstehen. Und dies kann als Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen dienen. Meiner Meinung nach haben viele Wissenschaftler:innen wegen mangelnder Empathie grausame Experimente an fühlenden Lebewesen durchgeführt. Es gibt noch viel Arbeit, um die Schimpansen und den Planeten zu retten – es gibt viele Herausforderungen und Hindernisse zu überwinden. Aber wie meine Mutter sagte, als wir müde am Feuer im Gombe-Nationalpark saßen, müssen wir Hoffnung haben.
Die Hoffnung, dass morgen Veränderungen bringen wird.
Meine Hoffnung ist, dass jede und jeder seinen Teil dazu beiträgt, eine bessere Welt für uns alle zu schaffen. Wir danken allen Müttern für die Hoffnung.
Dr. Jane Goodall
Foto: JGI/Hugo van Lawick