Dr. Isabelle Laumer, Primatologin, stellt die neuesten Forschungserkenntnisse aus 2023 vor.
Kommunikation spielt bei kulturellen Praktiken eine Rolle
Eine Schimpansengruppe in Sambia zeigt eine rätselhafte kulturelle Interaktion beim gegenseitigen Lausen – ein Aufeinanderlegen der Handflächen bei ausgestreckten Armen (siehe Foto, Quelle: Goldsborough et al., 2023). Die Schimpansen bewegen dabei nicht nur aktiv die Handfläche des Partners in die Höhe, sondern nutzen auch Gesten als Kommunikation, um den Partner dazu zu bringen, diese einzigartige Haltung anzunehmen. Dies ist damit die bisher erste Dokumentation, dass Schimpansen zur Koordinierung einer kulturellen Praxis Kommunikation verwenden. Daraus lässt sich schließen, dass Kommunikation und Kultur tief in unserer Evolutionsgeschichte verwurzelt ist.
Blickkontakt bei Mutter und Kind
Persönliche Interaktionen mit gegenseitigem Blickkontakt, kommen sowohl bei Schimpansen als auch bei Menschen im ersten Entwicklungsjahr sehr häufig vor. Die Unterschiede zwischen Schimpanse und Mensch und deren Entwicklungsphasen waren weniger deutlich als von den Forschern erwartet (Amici et al., 2023). Generell war der Blickkontakt beim Menschen zwar länger als bei Schimpansen, die Dauer und die Häufigkeit der gegenseitigen Blicke zwischen Mutter und Kind variierte aber je nach Kontext bei Mensch und Schimpanse. Beim Lausen und beim Füttern des Kindes beispielsweise, wird sich länger gegenseitig in die Augen gesehen, als bei anderen Aktivitäten. Diese Erkenntnisse zeigen, wie ähnlich die frühe sozio-kognitiven Entwicklung von Mensch und Menschenaffe ist und helfen uns die evolutionären Wurzeln des Elternverhaltens besser zu verstehen.
Zum Fressen gern – Seltene Beobachtungen von Fellpflege zwischen Schimpansenkindern und Affen die eigentlich als Beutetier gelten
In der Sonso Schimpansengruppe im Budongo Schutzwald in Uganda, wurde bereits sechs mal etwas Einzigartiges beobachtet: Jeweils ein junges Schimpansenkind im Alter von vier bis sechs Jahren, das eine andere Primatenart laust und manchmal sogar mit dieser spielt (siehe Foto: die sechs Jahre alte Caro spielt mit dem Schwanz einer Rotschwanzmeerkatze nachdem sie diese gelaust hatte; Quelle: Freymann et al., 2023). In fünf von den sechs Beobachtungen, initiierte das Schimpansenkind die Fellpflege. Dies ist besonders ungewöhnlich in Anbetracht der Tatsache, dass Meerkatzen eigentlich ins Beutespektrum der Schimpansen im Budongo-Wald fallen.
Verschiedene Flirt-Dialekte bei benachbarten Schimpansengruppen in Ostafrika
Die sogenannte ‘Leaf-clipping’ Geste wurde ermals bei der Mahale Schimpansengemeinschaft in Tansania beschrieben. Dabei hält ein Schimpanse ein bis fünf Blätter am Blattstil zwischen Daumen und Zeigefinger und reißt dann mit den Scheidezähnen am Blatt. Dadurch werden spezielle Geräusche erzeugt. Die Leaf-clipping Geste kann hauptsächlich in sexuellen Kontexten bei männlichen Schimpansen gegenüber einem Weibchen beobachtet werden. Schimpansen tun dies um zu werben und Kopulationen einzuleiten. Forscher untersuchten nun die Flirt-Geste zweier benachbarter Schimpansengemeinschaften, der Waibira and Sonso Schimpansen im Budongo Schutzwald in Uganda. Sonso Schimpansen verwenden meistens die ‘Leaf-clip’ Technik (siehe Bild links; Badihi et al., 2023), während die Waibira Schimpansen überwiegend die ‘Leaf-tear und pull’ Technik verwenden (im Bild rechts). Da die Schimpansen der jeweiligen Gruppe eine starke Präferenz für eine einzelne, unterschiedliche Blattrissform zeigen, liegt es nahe, dass dieses Verhalten zumindest teilweise kulturell bedingt ist.
Wie ähnlich sind uns Schimpansen bezüglich ihrer Risikobereitschaft?
Um die evolutionären Wurzeln des menschlichen Risikoverhaltens zu verstehen, untersuchten Forscher das Verhalten von insgesamt 86 Schimpansen in mehreren Schutzstationen in Uganda und Kenya (Haux et al., 2023). Dabei mussten die Schimpansen Entscheidungen treffen. Sie fanden heraus, dass die Risikobereitschaft bei Schimpansen strukturelle Ähnlichkeit mit der von Menschen aufweist: Die Riskopräferenz eines Schimpansen war über alle Bereiche und Messungen hinweg konsistent. Ähnlich wie beim Menschen, so gehen auch männliche Schimpansen mehr Risiko ein, als weibliche Schimpansen und Schimpansen sind auch weniger bereit, Optionen mit unbekanntem Risiko zu wählen. Und genau wie beim Menschen, so nimmt die Risikobereitschaft bis zum Erwachsenalter zu, erreicht ihren Höhepunkt als junge Erwachsene und nimmt im Alter dann wieder ab. Daraus schlossen die Forscher, dass die strukturelle Ähnlichkeit der Risikobereitschaft offenbar unabhängig vom Einfluss der menschlichen Kulturentwicklung entsteht, sondern sich durch ähnliche Dynamiken im Leben der Menschenaffen entwickelt.
Dr. Isabelle Laumer ist Primatologin am Max Planck Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz. Derzeit erforscht sie Neugierde, Problemlöseverhalten, Erkundungsverhalten, Werkzeuggebrauch und Humor bei Orang-Utans und Schimpansen.
Referenzen
- Goldsborough Z, Schel AM, van Leeuwen EJC. 2023 Chimpanzees communicate to coordinate a cultural practice. Proc. R. Soc. B 290: 20221754.
- Amici F, Ersson-Lembeck M, Holodynski M, Liebal K. 2023 Face to face interactions in chimpanzee (Pan troglodytes) and human (Homo sapiens) mother–infant dyads. Phil. Trans. R. Soc. B 378: 20210478.
- Freymann E., Huffmann MA, Muhumuza G, Gideon MM, Zuberbühler K, Hobaiter C (2023) Friends in high places: Interspecific grooming between chimpanzees
and primate prey species in Budongo Forest. Primates 64:325–337.
- Badihi, G., Graham, K.E., Fallon, B. et al. Dialects in leaf-clipping and other leaf-modifying gestures between neighbouring communities of East African chimpanzees. Sci Rep 13, 147 (2023).
- Haux, L. M., Engelmann, J. M., Arslan, R. C., Hertwig, R., & Herrmann, E. (2023). Chimpanzee and Human Risk Preferences Show Key Similarities.Psychological Science, 34(3), 358–369.