Essen wir uns zu Tode?

Essen wir uns zu Tode?
2. Februar 2022 Nikola Reiner-Rautek

„Der Mensch ist, was er isst.“ Mit diesem schlichten Satz brachte Ludwig Feuerbach die philosophische Bedeutung der Ernährung für unsere Identität zum Ausdruck. Lange bevor es Tierfabriken oder Lebendtiertransporte quer durch Europa gab. Heute hat die Aussage vor allem eine gesellschaftskritisch-umweltpolitische Dimension: Was wir essen beeinflusst nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch Luft-, Wasser- und Bodenqualität, Biodiversität sowie das Klima.

 

Ein Drittel aller CO2-Emissionen weltweit entsteht durch unsere Ernährung. Unser fast schon gläubiges Festhalten am täglich Fleisch trägt in hohem Maße zur Klimabelastung bei. Industrielle Massentierhaltung ist für mehr Treibhausgase verantwortlich als alle Autos, Schiffe und Flugzeuge weltweit zusammen.

Österreich zählt zu den Ländern mit dem höchsten Fleischkonsum in Europa. 60,5 kg Fleisch und Wurstwaren waren es 2020 im Durchschnitt pro Kopf hierzulande. Noch höher ist der Konsum von Milchprodukten, der in Österreich im Jahr 2020 bei 111,9 kg pro Kopf lag. Der hohe Anteil an tierischen Produkten bei unseren Essgewohnheiten verursacht eine massive ökologische Belastung.

Warum der Fleischkonsum ein Klimakiller ist:

    • Allein in Österreich werden knapp zwei Drittel der Ackerflächen genutzt, um Futtermittel anzubauen, oft in Monokulturen.
    • Unmengen an Pestiziden und Düngemitteln kommen dabei zum Einsatz, die nicht nur die Biodiversität bedrohen und die Bodenqualität senken, sondern auch das Treibhausgas Lachgas freisetzen.
    • Der Wasserverbrauch bei Futtermittelanbau, Tiertränke und Fleischverarbeitung ist enorm.
    • Österreich kann seinen Bedarf an Futtermitteln nicht selbst decken. In weit entfernten Ländern wird deshalb Regenwald (Lebensraum zahlreicher bedrohter Tierarten und wichtiger CO2-Speicher) abgeholzt, um Platz für den Anbau von Mais und Soja zu machen. Dabei kommen noch mehr Pestizide und Wasser zum Einsatz.
    • Der Transport von Futtermitteln, lebenden Tieren und Fleisch über den ganzen Globus hinweg verursacht einen enorm hohen Ausstoß an Treibhausgasen
    • Weltweit werden mehr Antibiotika an gesunde Zuchttiere verabreicht als an kranke Menschen.
    • Bei der Haltung von Rindern wird vor allem das Treibhausgas Methan freigesetzt, das für das Klima zehn- bis zwanzigmal schlimmer ist als CO2.
    • Last but not least: Industrielle Massentierhaltung verursacht unfassbares Tierleid – von Lebendtiertransporten über Tierfabriken bis zu Vollspaltböden und Küken-Schreddern.

In Österreich landen laut Statistik Austria 106 Millionen „Nutztiere“ pro Jahr auf der Schlachtbank. Truthühner, Gänse, Enten und Perlhühner sind hier noch gar nicht mitgezählt. Ist diese Zahl nicht unfassbar, gemessen daran, dass knapp 9 Millionen Menschen hier leben? Weltweit ist die Zahl mit jährlich 53 Milliarden für den Fleischkonsum getöteten Tieren noch viel weniger greifbar. Für die Milliarden an getöteten Fischen gibt es keine Statistik.

In diesen Zahlen scheinen jene Tiere noch gar nicht auf, die aufgrund ihres Geschlechts zum „Abfallprodukt“ werden. Bei der Legehennenzucht in Österreich sind das jedes Jahr 9,5 Millionen männliche Küken. Der Großteil wird mit CO2 getötet und als Futter unter anderem in Zoos verwendet. In Deutschland ist das Töten von Eintagsküken seit Jänner 2022 verboten. In Österreich wird nur das laut Branchenvertretern nicht mehr praktizierte Schreddern von Küken künftig gesetzlich verboten. Die Verwertung als Futterküken bleibt hierzulande erlaubt.

 

Können wir uns überhaupt moralisch korrekt ernähren?
Diese Frage beantworten Wissenschaftler:innen ganz klar mit: JA! Einer Studie zufolge könnten wir Österreicher:innen rund 50% unserer Treibhausgasemissionen einsparen, wenn wir auf eine vegetarische Ernährung umsteigen würden und ganze 70% wenn wir uns vegan ernähren. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere – nicht jede:r kann oder will seine Ernährungsgewohnheiten zur Gänze umstellen. Langfristig führt an einer Änderung unseres Umgangs mit Lebensmitteln kein Weg vorbei, wollen wir die Klimaziele erreichen.

„Viele Menschen fahren mit ihren schicken SUVs zum Supermarkt und suchen nach Rabatten am Tausend-Euro-Smartphone um dann das Schweinsschnitzerl um € 4,32 pro Kilogramm zu kaufen. Das kann sich weder für das Tierwohl, die Bauern noch für das Klima ausgehen“, kritisiert Diana Leizinger, Biologin und Geschäftsführerin des JGIA das Konsumverhalten.

ERSTE HILFE für Ihre Kaufentscheidung: Augenmaß & Enkeltauglichkeit

Die wenigsten Menschen können sich von einem Tag auf den anderen ändern. Oft ist auch die finanzielle Situation ein Faktor. Tun Sie, was Sie können – mit Augenmaß und der Frage, ob Sie damit Ihren Enkeln bzw. weiteren Generationen einen intakten Lebensraum hinterlassen. Wenn Sie nicht auf Fleisch verzichten möchten, entscheiden Sie sich für eine nachhaltige Variante.

Eine Studie der TU Graz zeigt, dass die biologische Wirtschaftsweise bei allen untersuchten Produkten Rindfleisch, Eier, Milch, Speisekartoffeln, Körnermais und Äpfel in unterschiedlichem Ausmaß einen geringeren Druck auf die Umwelt ausübt als die konventionelle Bewirtschaftung. Bei Rindfleisch ergibt sich die Reduktion der Umweltbelastungen von über 60 Prozent aus der biologischen Erzeugung der Futtermittel. Der ökologische Fußabdruck der landwirtschaftlichen Produktion kann vor allem durch den Ersatz von mineralischen Düngemitteln und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln gesenkt werden.

Als Inspiration am Weg hin zu einer nachhaltigen und gesunden Ernährung dürfen wir Ihnen ein vegetarisches Menü von Paul Ivic, Starkoch im Tian in Wien, vorstellen.