Menschenaffen verlieren bis zu 94% ihres Lebensraums bis 2050

Menschenaffen verlieren bis zu 94% ihres Lebensraums bis 2050
20. April 2022 Doris Schreyvogel

Eine aktuelle Studie warnt: Klimakrise und Bevölkerungsexplosion führen zu einer noch stärkeren Bedrohung für unsere nächsten Verwandten

Schon jetzt stehen alle afrikanischen Menschenaffen als stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Die Zahl freilebender Schimpansen ist in den letzten 60 Jahren um 80% gesunken. Waren es 1960 noch 1,5 Millionen, schätzt man die Gesamtpopulation freilebender Schimpansen heute auf kaum mehr als 300.000 Tiere. Pessimistischere Schätzungen geben Zahlen von kaum mehr als 180.000 Schimpansen an. Gleichzeitig sind unsere Bevölkerungszahlen von 3 auf 7,9 Milliarden explodiert.

„Was den Menschen von anderen Menschenaffen unterscheidet ist unser Intellekt. Doch es scheint so als wären wir nicht die klügere Art. Während wir immer mehr werden, vernichten wir den Lebensraum unserer nächsten Verwandten und letztlich damit auch unseren eigenen.“

Mag.a Diana Leizinger, Geschäftsführerin des Jane Goodall Institute Austria

DIE KLIMAKRISE: EINE DIREKTE BEDROHUNG FÜR UNSERE NÄCHSTEN VERWANDTEN

Afrika ist schon jetzt deutlich stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen als Europa. In der Heimat der Menschenaffen steigen die Temperaturen mehr als doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt (3,2° gegenüber 1,12°). Dürren haben sich in Subsahara-Afrika seit 1979 fast verdreifacht und Überschwemmungen mehr als verzehnfacht. Für die Menschen bedeutet dies erhöhte Ernährungsunsicherheit, Armut, Wasserknappheit und klimabedingte Abwanderung. In Kombination mit der erwarteten Bevölkerungsverdopplung bis 2050 warnen Experten, dass immer mehr natürlicher Lebensraum zerstört wird, um die Menschen mit Nahrung und Ressourcen zu versorgen.

 

Eine große Bedrohung für viele Wildtiere, darunter auch die Schimpansen. Diana Leizinger ist besorgt: „Genau das, was Afrikas Menschenaffen zu solch faszinierenden und charismatischen Tieren macht, macht sie besonders anfällig für die Klimakrise und ihre Folgen. Ihre Ernährung, ihre sozialen Strukturen und ihr Verbreitungsgebiet – fast jeder Aspekt ihres Lebens ist gefährdet.“

DIE VIER GRÖSSTEN GEFAHREN FÜR SCHIMPANSE & CO

Die PASA (Pan African Sanctuary Alliance), zu der auch das Jane Goodall Institute zählt, hat in einem aktuellen Bericht erstmals die jüngsten Forschungsergebnisse zu Klima-, Landnutzungs- und Bevölkerungsveränderung zusammengefasst und ihre Auswirkungen auf Menschenaffen sowie ihre Anpassungsfähigkeit bis 2050 prognostiziert. Die Ergebnisse sind alarmierend!

Bis zu 94% Lebensraumverlust

Viele afrikanische Menschenaffen leben in Gebieten, die für die landwirtschaftliche Expansion geeignet sind. Auch rund 60% der Ölpalmenkonzessionen überschneiden sich derzeit mit ihren Verbreitungsgebieten. Zudem drohen massive Bergbauaktivitäten, die Verbindungen zwischen einzelnen „Waldinseln“ zu zerstören.

All das, verbunden mit Klimakrise und Bevölkerungswachstum, wird dazu führen, dass afrikanische Menschenaffen bis 2050 zwischen 85 % und 94 % ihres derzeitigen Lebensraums verlieren werden, prognostizieren Wissenschaftler:innen. In diesem Zeitraum ist es unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Primaten umziehen und sich an neue Umgebungen anpassen kann. Das derzeit bestehende Netzwerk an Schutzregionen wird nicht ausreichen, um geeignete Lebensräume und verbundene Affenpopulationen zu erhalten.

Zu wenig Nahrung durch die Klimakrise

Je weniger Lebensraum zur Verfügung steht, umso weniger Nahrung finden Menschenaffen. Insbesondere jene Gruppen mit spezialisierter Ernährung, die an einen Ort gebunden sind, sind anfälliger als solche, die eine größere Flexibilität aufweisen. Die Klimakrise mit höheren Temperaturen und geringeren Niederschlägen wirkt sich auf die Menge und Qualität der Nahrungsquellen negativ aus. Diese Verknappung wird zu mehr Konkurrenz zwischen den Arten führen und gleichzeitig Mensch-Tier-Konflikte verstärken.

Sozialverhalten ungeeignet für rasche Veränderungen

Primaten haben langsame Lebenszyklen von bis zu 60 Jahren, niedrige Fortpflanzungsraten und oft nur ein Baby pro Wurf. Ihre Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit für die sich schnell verändernde Welt ist gering. Zu ihrem  Schutz und zur Körperwärme sind sie auf enge soziale Bindungen angewiesen. Der Verlust von Nahrungsquellen könnte die erforderlichen Gruppengrößen dieser sozialen Tiere nicht mehr zulassen und zu einer höheren Säuglingssterblichkeit führen.

Begrenzte Ausbreitungsgeschwindigkeit

Es ist aufgrund der langen Lebensdauer der Menschenaffen unwahrscheinlich, dass sie sich beim Verlust bisheriger Lebensräume rasch genug Neue erschließen können. Während Reichweitenverluste etwa durch Abholzung in wenigen Monaten passieren, dauert die Ausbreitung von Primaten in ökologisch geeignete Gebiete mehrere Jahrzehnte. Aufgrund ihrer Lebenszyklen, ihrer Größe und ihrer schlechten Thermoregulation gelten die meisten Menschenaffen daher als „ausbreitungsbegrenzt“.

Wir geben nicht auf!
Bitte helfen Sie uns dabei.

„In Bezug auf Klima, Land und Bevölkerung waren Naturschutzgebiete und Schutzstationen für gefangene Wildtiere noch nie so wichtig wie heute. Unser Vorteil ist, dass wir seit Jahrzehnten in den betroffenen Gebieten tätig sind, die Communities vor Ort aktiv einbinden, die Probleme der Menschen zu verstehen versuchen und innovative Lösungen entwickeln. Denn Tierschutz kann nur gelingen, wenn auf die Menschen nicht vergessen wird“

Mag.a Diana Leizinger, Geschäftsführerin des JGIA

UNSERE SCHWERPUNKTE GEGEN DAS AUSSTERBEN: NATURSCHUTZ & SCHUTZSTATIONEN

Um sicherzustellen, dass Primaten das Jahr 2050 überleben, arbeiten wir mit lokalen wie internationalen Organisationen zusammen, um der Klimakrise und dem Verlust von Lebensräumen mit diesen Schwerpunkten entgegenzutreten:

Ausbau der Schutzzonen, Aufforstung und Renaturierung

Da der Großteil der Lebensräume von Primaten außerhalb von Schutzgebieten liegt, verstärken wir unsere Initiative um betroffene Gebiete unter Schutz zu stellen und, wo dies nicht möglich ist, bestehende Waldgebiete durch Aufforstung miteinander zu verbinden und die lokale Bevölkerung in die Maßnahmen zu integrieren. Gleichzeitig berücksichtigen unsere Aufforstungsprojekte die Folgen der Klimakrise und setzen endemische Pflanzenarten, die dem Temperaturanstieg von 3 Grad gewachsen sind und die der Bevölkerung die Möglichkeit zur Nutzung bieten. 3 Millionen Bäume konnten wir in den letzten Jahren in Uganda, Tansania, Burundi und dem Senegal pflanzen, über 3.000 Haushalte sind in die Projekte eingebunden.

Mehr über die Aufforstungsprojekte des JGI Austria: HIER

 

Schutzstationen für verwaiste und beschlagnahmte Tiere

Schutzstationen nehmen eine Schlüsselrolle bei der Sicherung der Zukunft von Afrikas Primaten ein. Unsere Schutzstationen haben ein breitgefächertes Aufgabenspektrum: von der medizinischen Versorgung kranker, verwaister Tiere bis hin zur Bildung der Bevölkerung in Bezug auf notwendige Schutzmaßnahmen. Zudem könnten ohne Schutzstationen keine Tiere beschlagnahmt werden bzw. Sanktionen gegen Bushmeat-Handel umgesetzt werden. Unser langfristiges Ziel ist es, jenen Tieren, bei denen das aufgrund ihrer Sozialkompetenz und körperlichen Gesundheit möglich ist, wieder ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Aufgrund ihrer komplexen Sozialstrukturen, die es nicht ermöglichen einzelne Tiere in bereits von Artgenossen bewohnte Gebiete zu entlassen, sind die Vorbereitungen dafür langwierig und aufwendig. Das JGIA unterstützt die Schutzstationen in Tchimpounga (Republik Kongo), Ngamba Island (Uganda) und Chimp Eden (Südafrika), wo derzeit 243 Schimpansen eine zweite Heimat gefunden haben.

Mehr über die Schutzstationen für Schimpansen HIER

Die Jane Goodall Institute befürworten keine Handhabung oder Nähe zu Wildtieren. Diese Bilder entstanden in und rund um die Jane Goodall Institute Schutzgebiete und zeigen ausschließlich ausgebildete Fachkräfte mit ihren Schützlingen.